Vietnam: on the move

Vietnam ist eines der Länder, in welchem die Gegensätze besonders gross sind. Die schwierige Geschichte prägt das Land bis heute. Ich denke immer wieder, wie erstaunlich es doch ist, v.a. dass die ältere Generation uns mit einem breiten, herzlichen Lachen begrüsst. Sie werden sich erinnern an jeden Meter Land, für den sie mit grossen Verlusten gekämpft hatten. Woher wir kommen, wird nie gefragt: Frankreich, Amerika oder woher auch immer, von Weitem wird uns gewunken und gerufen. Für die Jungen, die sich (zum Glück) nicht sehr für die Geschichte zu interessieren scheinen, ist Vietnam eine andere Welt. Der Kommunismus, der an jeder Strassenecke mit Propaganda-Plakaten beworben wird, ist wohl nur vordergründig das Mass aller Dinge. Geld regiert die Welt und jeder möchte etwas vom grossen Kuchen abbekommen. Buisness ist, was die Jungen wirklich interessiert. Doch die Dollarzeichen in den Augen sehen wir erst in Hanoi leuchten.
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bild Im ländlichen Norden scheint im Gegensatz zu den trendigen Städten die Zeit (zumindest abseits vom Touristenpfad) stehen geblieben zu sein. Hier machten wir einen grossen Umweg in den Nordwesten, bis zur laotischen Grenze in Dien Bien Phu, wo die kommunistischen Nordvietnamesen die Franzosen 1954 nach fast 70 Jahren Kolonialherrschaft mit einer letzten Schlacht vertrieben hatten. Im Museum löste ich ungeschickterweise den Alarm aus, eine Glanzleistung, die uns zum ersten Mal böse Blicke bescherte.
Hekou - Hanoi: von der chinesischen Grenze auf Umwegen bis Hanoi

Viktor entschied sich, für den Abstecher in den Nordwesten Vietnams bis nach Hanoi mit uns weiter zu radeln. Nach der Grenze von Lao Cai bis Sapa ging es 38km steil bergauf und "unless you've been training for the Olympics, it's hell on a bicycle" (wie es in unserem Reiseführer beschrieben war). Ganz so dramatisch war's dann aber doch nicht und nach dem Mittag gaben wir noch eine 15km lange Zugabe zur Tram Ton Passhöhe.

Durch die immergrüne Landschaft schlängelte sich die Strasse hoch und runter. Scharen von Kindern riefen uns vom Anfang bis zum Ende der Dörfer nach, die Jungs lieferten sich regelmässig Rennen mit ihren viel zu grossen, alten Fahrrädern gegen Tobias und Viktor. Nicht selten winkten uns prostende Männer von der Beiz aus zu sich. Schwups, Tobias verschwand am hellen heiteren Montagmorgen um 10 Uhr und kam mit einem breiten Grinsen (und zwei Shots intus) wieder zurück. bild
Zwar ist ein guter Teil der Strassen in die abgelegenen Gebiete asphaltiert. Zum Teil waren neue Dörfer nach einem Staudammprojekt an einer unpassenden, 6-spurigen Strasse angelegt worden. Nur vereinzelt waren Autos zu sehen, ansonsten teilten wir uns die breiten Alleen mit Motorrädern. Ab und zu mussten wir uns allerdings durch knöcheltiefe Schlammpisten kämpfen. Mehr als einmal waren wir just die Ersten die an der Bambusbarriere warten mussten bis die Baustelle wieder passierbar war.
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Fast in jedem Dorf waren die Frauen wieder in anderen traditionellen Kleidern unterwegs. Mit der schönen Haarpracht (die nur schwer unter den obligatorischen Motorradhelmen Platz finden) und farbigen, handbestickten Kleidern gehen sie ihrer Arbeit nach und leisten Unglaubliches! Für einmal waren sie es, die offen auf uns zukamen und neugierig auf uns einredeten, unsere Taschen bestaunten und zu guter Letzt wissen wollten, was denn die europäischen Frauen so an sich haben. Ganz selbstverständlich wurde der Oberarm gedrückt, an den Häärchen am Arm gezupft, in die Nase gekniffen, nach dem Bauchspeck gesucht und... ja, dann musste ich mich langsam zur Wehr setzen.
Hanoi und Halong Bay
bild So viele Europäer wie in Hanoi haben wir nicht mehr gesehen, seit wir Europa verlassen hatten! Kein Wunder, bietet Vietnam so einiges für jeden Geschmack. Von Hanoi aus buchten wir eine organisierte Bootstour zu den Halong Bay Inseln. Zwei Tage schwelgten wir im Luxus, liessen uns vom Guide durchs Programm führen, stiessen an der Cocktailbar (leider mit nicht ganz angepasster Abendgarderobe) mit den anderen Touristen an und relaxten auf dem Sonnendeck, während wir durch die Inseln cruisten. War es, weil wir uns solche Touren nicht gewohnt sind oder war es einfach nur dummer Zufall, dass gerade mir mehrere Missgeschicke passierten?
Das Busfahren nicht mehr gewohnt, schlug der Magen schon vor dem ersten Schritt auf das Boot Alarm. Später beim ersten Programmpunkt konnte Tobias mit einem Ruderschlag rückwärts gerade noch rechtzeitig zwischen unserem Doppelkayak und der Gruppe einen Sicherheitsabstand machen, schon übergab ich mich vor versammelter Affenbande (Monkey-Island) und unserer Tourgruppe. Noch nicht genug: Am nächsten Morgen biss ich mir beim edlen Frühstück - wie auch immer das überhaupt machbar war - ein Viertel des Stockzahnes raus. bild
Zum Glück konnte ich den Tag ohne Schmerzen geniessen, ein Zahnarztbesuch in Hanoi war aber nicht zu verhindern. Hier waren dann keine Touristen mehr zu finden, obwohl die Erfahrung nicht vietnamesischer hätte sein können. Ob das der letzte Zahnarztbesuch in Südostasien war? Dafür lege ich meine Hand nicht ins Feuer.
Fortsetzung: let's go for the big one

Zwei Tage nachdem wir Hanoi auf dem Ho Chi Minh Trail verlassen hatten, fragte ich Tobias beim Mittagessen "... und wenn wir doch bis Ho Chi Minh runterfahren?" "Geht nicht..." war die Antwort. Wir hatten diese Variante schon abgeschrieben, da unser 31 Tage Visum wohl nicht für die ganze Strecke reichen würde. "Wirklich nicht?". Wir begannen zu rechnen und zu rechnen. Die Lösung ist einfach, man fahre 1920km in 14 Tagen. Wir grinsten einander an. "Abgemacht, so machen wir's"!

Einfacher gesagt als getan, denn beide pedalten wir hier auch mal über unser Limit. Zwei, drei Mal war der Zuckerspiegel im tiefroten Bereich, der Kopf überhitzt, die Laune angekratzt: da ist man froh zu zweit unterwegs zu sein. Denn mindestens einer ist immer positiv eingestellt und kann bei Bedarf Aufbauarbeit leisten.

Die Tagesetappen mit ca. 140km waren gegeben. So waren wir wieder öfters auf das Zelt angewiesen. Wildcampieren kam kaum in Frage, da in Vietnam ein erschreckender Teil der nicht besiedelten Gebiete heute noch mit unvorstellbaren 100'000-en von Tonnen (!) von unexplodierter Munition und Landminen verseucht ist. Ob in einer Gartenbeiz, bei den Fischern direkt am Strand - wir genossen die spontanen Abende mit den Einheimischen, auch wenn an Ausruhen das eine oder andere Mal nicht zu denken war. bild
Hanoi - Ho Chi Minh City (HCMC, früher Saigon)
bild Die ersten 600km nach Hanoi schwenkten wir ins Landesinnere auf dem Ho Chi Minh Trail. Heute zu einer schönen, fast verkehrsfreien Asphaltstrasse ausgebaut, diente er während dem Vietnamkrieg als Hauptversorgungsachse der Nordvietnamesen für die Widerstandskämpfer im Süden. Die Landschaft durch die immergrünen Hügel kam uns zum Teil vor wie Halong Bay, einfach ohne Wasser. Dann bogen wir ab auf den Highway A1 für die nächsten 1320km meist der Küste entlang um die touristischen Highlights wie Vinh Moc, Hue und Hoi An nicht zu verpassen.
Vor allem freuten wir uns auch auf die Strände. Während sieben Tagen fuhren wir der Küste entlang und gewöhnten uns an den "Strandalltag":

4.45 Uhr: der Wecker klingelt, ein kurzer Morgenschwumm gefällig?, vor 6.00 Uhr auf dem Velo bei angenehmen 26°C, um 8.00 Uhr (>30°C) ist die erste Pause fällig, das zweite Frühstück: 1, 2 oder 3 Sandwiches, weiterradeln, weiterschwitzen, Mittagspause am und im Wasser, (mit sauren Beinen) weiterradeln, ein Kaffee on the rocks, ein einsamer Strand am Abend, oder kommen doch noch ein paar Fischer mit Vodka vorbei?

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In Ho Chi Minh City hatten wir uns einen ausgedehnten Apero verdient. Wir lernten Amanda und Douglas aus Australien kennen und so wurde der Apero gleich noch etwas länger... Was natürlich in einer vietnamesischen Grossstadt nicht fehlen darf, ist ein Zahnarztbesuch. Diesmal amüsierten sich die versammelten Praxisangestellten mit reichlich Genugtuung über die Arbeit des Kollegen in Hanoi. bild
Vietnamesischer Kaffee "on the rocks"
bild Dem vietnamesischen Kaffee sind wir längst schon verfallen und haben uns in den ersten Tagen in Nordvietnam ein kleines "Kaffeemaschinchen" gekauft (0.80 CHF hat's gekostet und an der Kasse gab's zwei Bananen geschenkt). Der starke Kaffee (erinnert mit seiner Konsistenz an flüssige Schokolade) wird gemixt mit einer guten Portion Kondensmilch (man drücke ein Augen zu, wenn Ameisen sich zu tausenden auf der geöffneten Dose tummeln) und über einwandfreies Trinkwasser-Eis gekippt. Wie war das mit dem Eis? Wir haben gehört, es werde eingekauft und sei von unbedenklicher Qualität.
Dem Geheimnis kamen wir auf die Spur: in Metallbehältern, etwas rostig sind sie schon, wird Trinkwasser eingefüllt und tiefgekühlt. Die gefrorenen Blöcke werden dann auf irgendein Gefährt (meist Motorrad) umgeladen. Eine Abdeckung auf der Ladefläche oder auf dem Fussabtreter, wo das Eis für den Transport platziert wird, gibt es nicht. Man denke nicht daran, dass gestern wahrscheinlich noch ein Schwein seinen letzten Angstschweiss beim Schlachttransport vergossen hatte, oder die 20 zusammengepferchten Hühner auf dem Weg zum Markt gackerten und kackerten und heute wird also Eis transportiert... Auf dem Marktplatz (wo anderntags der LKW Chauffeur zwischen den Rädern ein dringendes Geschäft erledigte) wird das Ganze dann kurz - aber wirklich nur kurz - auf den Boden gelegt, bevor es dann endgültig in den Restaurantgefrierschrank kommt.

An diesem Tag verzichtete Tobias am Mittag auf den erfrischenden Eistee. "Warum?" - "Ja, das Eis...". Aber kaum liegen wir in der nächsten Hängematte und bestellen einen "cà phê su'a daa" (Milchkaffee on the rocks) ist die Geschichte wieder vergessen.

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